„Insektenschutz? Da reibt man sich schon die Augen!“

Ackergifte sind überall, so das Ergebnis der breit angelegten Studie vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Johannes Heimrath, Mit-Initiator des Vereins und unter anderem selbst Bauer, hat nun eine Hintergrundbroschüre verfasst, die mit den üblichen Vorurteilen zum Thema aufräumt. Seit vielen Jahren schon engagiert sich Heimrath für die Agrarwende. Wir haben mit ihm gesprochen.

Schweizer Bürger*innen haben im Juni darüber abgestimmt, ob der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden verboten werden solle. 40 Prozent waren dafür, 60 jedoch dagegen. Wie bewertest du dieses Ergebnis?
Johannes Heimrath: 40 Prozent Ja-Stimmen – das ist richtig viel! Die Initiative bekam ja enormen Gegenwind. Ein starker Beweis, dass das Thema Ackergifte viele Menschen bewegt.

Woran hat es am Ende gefehlt?
Noch ist niemandem klar, wie eine pestizidfreie Landwirtschaft im erforderlichen großen Maßstab rasch und geschmeidig zu realisieren ist. Mächtige Industrien sind da in unzähligen Abhängigkeiten gefangen. Deren Gegenwehr ist verständlich. Das Schweizer Abstimmungsergebnis fordert uns auf, Konzepte für einen Wandel auch aus Sicht der anderen Seite vorauszudenken. Kein Unternehmen geht ohne Plan ins Unbekannte.

Wie ist es um die Wende hin zu mehr ökologischer Landwirtschaft in Deutschland bestellt?
Der Abschlussbericht der hiesigen Zukunftskommission Landwirtschaft sagt: Ohne eine umfassende Ökologisierung der Landwirtschaft geht es nicht weiter. An diesem Bekenntnis hat sogar der Bauernverband mitgewirkt, der solcher Töne bisher eher unverdächtig war. Warten wir ab, ob dem auch Taten folgen, allem voran der Ausstieg aus der Anwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden als Werkzeuge des täglichen Gebrauchs.

Was ist die größte Herausforderung?
Einige Industrievertreter beteuern, »wir sind auf dem Weg, aber wir brauchen Zeit«. Okay – aber wir wissen schon lange, dass der Wandel rasant vorangehen muss, wenn wir unseren Enkelinnen und Enkeln mehr als eine verarmte, überhitzte Restwelt übergeben wollen. Ungeduld angesichts des planetaren Zustands ist angebracht und berechtigt. Zugleich schaden unerfüllbare Forderungen dem Dialog. Das ist ein anstrengender Spagat.

Wie können wir die Bäuerinnen und Bauern mitnehmen?
Der Erfolg der Zukunftskommission zeigt: Die Landwirtinnen und Landwirte gehen mit, wenn sie als »Nährstand« Wertschätzung spüren und der Wandel ihr Einkommen zu sichern hilft. Sie müssen mit ihrer unersetzlichen Arbeit ihre Familien ernähren und gut leben können. Enkeltaugliches Leben heißt auch gutes Leben. 

Haben die Menschen in den Städten ein nostalgisches Bild von der Landwirtschaft?
Häufig ja. Wenige ahnen, wie viel Arbeit Landwirtschaft bedeutet. Ich selbst bin ja in meinen späten Jahren als Bauer tätig: Man hat Mühe, sich körperlich und zeitlich nicht komplett auffressen zu lassen. Dazu kommt die Frage, wie wir mit dem sich wandelnden Klima umgehen sollen. Wir werden neue Pflanzen und Früchte finden müssen und auch neue Methoden, um unter den künftigen Klimabedingungen noch Felder bestellen zu können. Und wie können wir gleichzeitig die Biodiversität schützen, ja sogar mehren und in großen Bereichen wiederherstellen?

Mit dem Insektenschutzpaket wurden ja nun einige sinnvolle Maßnahmen ergriffen.
Das Beispiel zeigt leider, wie hinderlich die Separierung der Zuständigkeiten zwischen dem Umwelt- und dem Landwirtschaftsressort ist. Dabei sind diese Themen aufs engste miteinander verknüpft. Die Agrarindustrie steuert eine der einflussreichsten Lobbys vom Maschinenbauer über den Chemieriesen bis zum Lebensmitteldiscounter – eine unendliche Anzahl von Wirtschaftsinteressen. Das alles saugt an der bäuerlichen Landwirtschaft, die »nur« den Rohstoff für die gigantische Wertschöpfungskette liefert, tatsächlich aber die natürlichen Lebensquellen zu pflegen hätte. Fehlt der Schulterschluss zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium, bekommen wir einerseits ein Insektenschutzgesetz, das mit Ach und Krach durchgegangen ist, und auf der anderen Seite eine Pestizid-Verordnung, die dem nicht Rechnung trägt. Da reibt man sich schon die Augen.

Was wäre ein echter Paradigmenwechsel?
Ich stelle mir vor, dass Pestizide nur noch in absoluten Notfällen angewendet werden dürfen, wenn alle natürlichen und mechanischen Pflege- und Abwehrmaßnahmen ausgeschöpft sind und bedeutende Ernteeinbußen drohen. Selbst dann aber sollten es keine systemisch wirkenden Mittel sein, sondern aus der Natur gewonnene »Medikamente«. Auch die Steuerung der Nahrungskette lässt sich optimieren. Wie komplex das Lebensgefüge ist, sehen wir beim Echten Mehltau: Drei Marienkäferarten ernähren sich ausschließlich vom Mehltaupilz. Killt man den Mehltau, sterben drei Käferarten aus. Fördert man die Marienkäfer, hält man den Mehltau in Schach. Das scheint mir eine akzeptable Naturmanipulation zu sein. Landwirtschaft ist ja, genau wie alles übrige Menschenwerk, eine ständige Manipulation des Gegebenen.

Was kann der oder die Einzelne tun, um einen Wandel mit herbeizuführen?
Nun, den Einkaufskorb überdenken – der Kassenbon ist ein Abstimmungszettel! Im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft haben sich Bio-Unternehmen zusammengetan und stellen den Umweltorganisationen eine wirtschaftlich bedeutende Stimme zur Seite; jeder Einkauf im Bio-Fachgeschäft stärkt diese Stimme. Oder Mitglied in einer solidarischen Landwirtschaft werden. Den Urlaub auf einem Bauernhof verbringen und lernen, wie so ein Betrieb funktioniert, wie das bäuerliche Einkommen entsteht und welch enorme Leistungen dafür erbracht werden. Solche Erfahrungen geben Impulse zu eigenem Engagement.

Was bedeutet für dich der Begriff „enkeltauglich“?
Ich übe eine andere Haltung mir selbst und der mehr-als-menschlichen Welt gegenüber ein. Ich lerne, von Grund auf neu zu denken und lasse vieles Alte fahren, allem voran die Vorstellung, die Natur sei etwas außerhalb von uns Menschen Liegendes. Verstehe ich in der Tiefe, dass ich mit allem Lebendigen verbunden bin? Ich bin das Ergebnis des Stoffwechsels von unendlich vielen Lebewesen – nichts an meinem Körper habe ich selbst gemacht! Diese Erkenntnis liegt meinem Verständnis von Enkeltauglichkeit zugrunde. Das mag idealistisch klingen, aber es verändert deinen Blick auf die Welt und auch die Art und Weise, wovon und wie du dich ernährst. Die 40 Prozent Schweizer Ja-Stimmen für ein Ende der Ackergifte zeigen mir, dass diese Haltung keimt. Ein gutes Zeichen.